Mit Aufklebern, oder zu Neudeutsch Stickern, verbinden wir die Postmoderne. Die Klebebildchen sind ein fester Bestandteil unserer bunten,
werbeverseuchten Welt - einer Welt zwischen Pokémons und Fußballstars in Überraschungseiern.
Dabei gibt es diese bunten, selbstklebenden Zettel schon etwas länger. Nicht nur der Opa wird sie gesammelt haben, sondern vielleicht sogar sein Opa.
Die Produkt- und Werbeindustrie entdeckte die kleinen, selbstklebenden Bilder im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts. Sie ließen sich wunderbar mit Bezug zu einem Produkt vermarkten. Durch ihre kleine Größe konnte man die Aufkleber in jeder Produktverpackung unterbringen. Findige Werbestrategen der Pionierzeit kamen auf die Idee, daraus Serien zu entwickeln. Die Sammelleidenschaft der Käufer trug so zum Umsatz bei.
Vom Kitsch zur Propaganda
Klein und unauffällig, entwickelt die Botschaft der Sticker ihre Macht erst im Schwarm. Dabei kann sie im Wandel der Zeit den Zeitgeist der Gesellschaft widerspiegeln. Im positiven wie auch im negativen Sinne. Von harmlosen Ostereierhasen bis hin zur Hetze gegen die Minderheiten und politischer Propaganda. Die politischen Stimmen der kleinen Gruppierungen flüstern heute oft von Laternenmasten zu den Passanten herunter. In vergangenen Zeiten, in denen Demagogie und Propaganda vom Staat toleriert oder gar gefördert wurden, waren auch
Aufkleber Teil der Meinungsmachermachinerie.
Und das nicht etwa erst in der NS-Zeit. Bereits im Jahre 1890, als der kleine Adolf erst ein Jahr alt war, zog eine antisemitische Kampagne durch das Deutsche Reich mit Slogans wie "Freikarten nach Jerusalem". Besonders skurril: Solche Aufkleber zierten Wurstwaren oder waren auf Verschlussetiketten von Liebesbriefen zu sehen. Solches und ähnliches Material ist auf der Ausstellung "Angezettelt" im
Deutschen Historischen Museum vom 20. April bis 31. Juli 2016 zu sehen.
Aufkleber in der Nachkriegszeit
Die Nachkriegszeit in Westdeutschland war geprägt vom Geist des American Dream und des Wirtschaftswunders. Heroisierende Bilder des Krieges und Hassparolen wichen einer bunten Welt der Konsumismus. Produktmarken als Identität, Hollywood und Kitsch dominierten von nun an das Antlitz der Sticker. Der wirtschaftliche Aufschwung bescherte jeder Arbeiterfamilie einen VW-Käfer mit einem winzigen Anhänger. Nun war es plötzlich in, sein Auto mit Stickern all jener Länder zu bekleben, die das Dritte Reich sich mit Gewalt aneignen wollte.
In den 1970ern schlich erneut Ideologie in die Botschaft der Sticker rein, wenn auch in einem positiven Gewand. Umweltverschmutzung, Kernkraft und atomare Abrüstung wurden wieder zu dominanten Themen der kleinen Aufkleber. Zum Apogäum des Kalten Krieges flaute aber auch diese Mode ab und wurde durch Familienwerte abgelöst. Kindernamen all jener Florians und Janetts zierten nun die Heckscheiben der Familienkutschen.
Heute und morgen
In der Welt des digitalen Prints und des Internets kann sich jeder ein passendes Motiv drucken lassen. Der Trend geht somit in Richtung des Individualismus. Eine gefährliche Richtung schlagen jedoch neue politische Strömungen ein, die sich angesichts vorherrschender Politikverdrossenheit und der Flüchtlingswelle aus der gesellschaftlichen Mitte herauskristallisiert haben. Mit Slogans wie "Bratwurst statt Döner" ähneln sie auf erschreckende Weise jenen Parolen aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert. Wohin das geführt hat, wissen wir. Es liegt in unserer Macht, dass die vermittelten Botschaften der kleinen Klebebildchen Frohsinn verbreiten und unsere Individualität unterstreichen, ohne eine Saat von Hass in die Herzen der Menschen zu pflanzen. Wir tragen die Verantwortung, was wir mit Sprüchen und Symbolen anzetteln.